die Anwendung

Erschließung des Areals


Diese Ressourcen zu Erschließen bedeutet zunächst erst einmal den Bewohnern Bergisch Gladbachs diesen Ort, der seit 300 Jahren der Öffentlichkeit verschlossen blieb, zugänglich zu machen. Der Anschluss an die Innenstadt im Norden ist essenziell, um die Barriere der großen Straße zu übergehen. Doch auch das Gelände selbst ist innerhalb Bergisch Gladbachs eine Barriere, wie man unschwer an dem Verlauf der Fahrradwege erkennen kann, die links und rechts Umwege um das umzäunte Areal machen müssen. Daher ist unsere erste Intervention die direkte Durchquerung des Geländes durch den bestehenden Fahrradverkehr auf der Werksstraße. Nicht nur, um den Fahrradfahrern den Umweg zu ersparen, sonder vor allem, um das Gelände zum Teil des Bergisch Gladbacher Alltags zu machen. Die Denkmäler, die sich an dieser Straße anreihen, wären zum ersten mal seit mehr als 100 Jahren ohne Termin auf dem Weg zur Arbeit erlebbar. Gleichzeitig findet so jede Transformation des Areals zwangsweise öffentlich sichtbar statt.



Unser Ziel ist es das Gelände von innen nach außen zu erschließen und dafür muss auch die Mitte des Geländes an die Innenstadt angebunden werden. Fuß- und Fahrradwege sind dafür ein wichtiger erster Schritt, jedoch muss auch die Nutzung der Gebäude diesem Strang folgen. Die Erschließung der Räume, die am Rand des Geländes mit neuen Büros der Stadt bereits stattfindet, soll in Form von Pioniernutzungen ins Innere des Geländes wandern. Gebäude die sich in Zustand und Typologie dafür eignen können so weiter- oder umgenutzt werden, um Leerstand zu verhindern und eine schnelle Wiederbelebung der Flächen zu gewährleisten, bis größere Maßnahmen und permanentere Nutzungen gefunden wurden.




Der Umschlagplatz


Um diese dann zu realisieren, ist die Auseinandersetzung mit den gigantischen Mengen an Material unumgänglich. Es braucht eine Strategie, um möglichst viel dieses Materials zu erhalten und wieder nutzbar zu machen. Das Konzept des Re-Use ist nicht neu, jedoch scheitert es heutzutage häufig an der Zwischenlagerung. Möchte man bei einem Neubau gebrauchtes Material verwenden, so muss man das Glück haben, dass zum selben Zeitpunkt irgendwo anders genau dieses Material zurückgebaut wird. Eine Zwischenlagerung ist teuer und aufwendig und ein ökonomisches Risiko das ungern eingegangen wird. An genau diesem Punkt liegt nun der entscheidende Vorteil desZanders-Areals. Es sind nicht nur Unmengen an Material vorhanden, sondern auch der Platz für die Zwischenlagerung. Rückbau und Wiedereinbau der Materialien kann so zeitversetzt geschehen, es entsteht ein Fundus aus dem sich bei jedem Bauvorhaben auf dem Gelände bedient werden kann.



Als zentrale Strategie für den Umgang mit der materiellen Ressource muss dieser Umschlagplatz, wie wir ihn getauft haben, jedoch mehr können als nur zu lagern. Er soll zu einem Ort werden an dem der Re-Use Prozess sichtbar und erl ebbar wird. Daraus erklärt sich auch die Positionierung des Umschlagplatzes, in einer der großen Hallen inmitten des Geländes. Sie bietet die benötigte Dimension und mit einem großen Hallenkran die benötigte Infrastruktur, um mit dem Lagern von Bauteilen zu beginnen. Gleichzeitig liegt sie direkt an den neu entstehenden Achsen aus Fahrrad- und Fußweg, das Geschehen im Inneren lässt sich von PassantInnen auf dem historischen Vorplatz des Zeppelinbaus beobachten. Die zurückgewonnenen Materialien werden dort zunächst gelagert und für die weitere Nutzung vorbereitet.

Über die Zeit entwickelt sich eine Art Second-Hand-Baumarkt, der neben etlichen tausend Quadratmetern Trapezblech und Mauerwerk auch einzelne Möbel oder Bauteile verkauft. Die KundInnen reichen von InvestorInnen, die Material für Bauvorhaben benötigen bis hin zu NutzerInnen, die sich nur ihren Balkon umbauen. Doch die Öffentlichkeit, insbesondere die neuen NutzerInnen des Geländes, sollen auch eine aktivere Rolle im neuen Umschlagplatz einnehmen können. In einer Werkstatt können sie die Materialien verarbeiten, verschiedene Workshops vermitteln dafür die benötigten Fähigkeiten und den richtigen Umgang mit dem Material. Insbesondere die PioniernutzerInnen erlangen somit die Möglichkeit, sich ihre Räume umzubauen und anzueignen.

Betrieben wird der Umschlagplatz von dem Re-Use-Zanders Verein, der von der Stadt Bergisch Gladbach zu Beginn des Projekts ins Leben gerufen wird. Über die Zeit würde so ein Re-Use System entstehen, dessen Strahlwirkung über das Zanders-Areal hinaus reicht. Nichts spricht dagegen, dass auch externe Bauvorhaben sich aus dem Materialpool bedienen oder externe Rückbauten wieder Material in den Umschlagplatz einspeisen. Auf Zanders entsteht so ein neues Quartier, das nicht als neue Bausubstanz wahrgenommen wird sondern als Collage des bereits Vorhandenen.


Das Pionier-Ensemble

Als Case Study, sowohl für die von uns formulierten Regeln, als auch für die architektonische Ebene des Re-Use-Systems, dient uns dabei das Pionier-Ensemble. Es besteht aus Zantine, der ehemaligen Kantine und Multifunktionsraum, der Werkstatt, dem Magazin und der Schreinerei. Es nimmt mit seiner Lage im Gelände eine wichtige Rolle für die Verbindung von Innenstadt und dem Kern-Areal ein. Vier verschiedene Pionier-Nutzungen erschließen hier über die Zeit immer mehr der bestehenden Struktur und stehen somit für die Transformation des Geländes als Ganzes.

Die vier Gebäude repräsentieren dabei die vier Handlungsmöglichkeiten, die sich bei der Auseinandersetzung mit dem Gebäudebestand ergeben. Die Weiternutzung, bei der Räume in gutem Zustand und passender Nachnutzung ohne große Modifikation bestehen bleiben können. Die Umnutzung, für Räume, die zwar in gutem Zustand sind aber strukturell an ihre Nachnutzung angepasst werden müssen. Den Umbau, bei dem bestehende Trag- oder Gebäudestrukturen zu neuen Gebäuden transformiert werden, falls die räumliche Ressource aus qualitativen oder typologischen Gründen nicht ausreichend ist. Und zuletzt dem Rückbau, um nicht mehr genutzte Strukturen zurück in den Materialkreislauf zu befördern.


Aufgrund der Nutzung als Veranstaltungsstätte, Mensa und Büro bietet die Zantine eine hohe Flexibilität, die mit der
Weiternutzung durch neue NutzerInnen direkt erhalten werden kann. Der große, frei unterteilbare Raum im Erdgeschoss kann zur Stadt hin geöffnet werden und dem Quartier Veranstaltungs- oder Versammlungsort dienen, während die Büroräume im Obergeschoss durch den Re-Use-Zanders Verein weitergenutzt werden. Im Sinne der Kontinuität bleibt die Zantine somit auch im neu entstehenden Stadtviertel als Treffpunkt erhalten.

Im Gegensatz dazu lässt sich die sehr spezifische Nutzung der Werkstatt nicht fortsetzen. Der gute Zustand und die bestehende Dämmung ergeben jedoch gute Voraussetzungen für eine zeitnahe Umnutzung der bestehenden Räume. Ziel ist es hier, möglichst schnell und einfach den Innenraum zu erschließen, um ihn kostengünstig Pionier-NutzerInnen zur Verfügung zu stellen.

In diesem Nutzungsmodell wird viel gestalterische und organisatorische Verantwortung an die NutzerInnen abgegeben. Im Gegenzug erhalten sie dafür einen hohen Grad an Aneignung, der von der Aufteilung und Ausgestaltung der einzelnen Einheiten bis hin zur Veränderung der Fassade geht. Die Art der Nutzung ist hierbei komplett den NutzerInnen überlassen, von Ateliers über Büros bis hin zu Wohnungen oder Verkaufsflächen ist alles möglich.


Das Magazin bildet das Gegenmodell. Hier wird klassisch von ArchitektInnen gestaltet, in diesem Falle von uns. Dadurch liegt weniger Verantwortung auf den BewohnerInnen, der individuelle Gestaltungsraum ist kleiner. Es entsteht ein gut funktionierendes Wohngebäude, das durch den aufwändigeren Umbau im Gegensatz zur Werkstatt spezifisch auf seine Nutzung zugeschnitten ist.





Genau so sieht es auch bei der Erschließung aus: Die Werkstatt erhält eine schnelle, kostengünstige Laubengangerschließung, während hinter dem Magazin eine aufwändigere, vom Gebäude abgesetzte Erschließung aus einer zurückgewonnenen Rohrtrasse entsteht. Sie treffen sich in einen zum Treppenturm umgedeuteten ehemaligen Wasserturm, welcher dem gemeinsamen Eingang vorgesetzt wird.

Ähnlich wie die Innenräume bilden auch die Dächer der verschiedenen Gebäude eine räumliche Ressource. Je nach Tragfähigkeit, Position und Größe können hier unterschiedliche Nutzungen unterkommen.

  • Auf der Werkstatt entsteht unter einem Gerüst mit Solarpaneelen eine Fortsetzung der Nutzungen im Innenraum und somit ein produktives Dach; die hohe Tragfähigkeit lässt hier viel Spielraum.
  • Das Dach der Zantine wird zum gemeinschaftlichen Gestaltungsraum, der den NutzerInnen die Möglichkeit zur experimentelle Aneignung gibt, eine Art kollektives Äquivalent zum eigenen Hinterhof.
  • Das Dach der Schreinerei, deren Innenraum im Rahmen des Rückbaus zu einem Fahrradparkhaus wird, entspricht hingegen eher der Terrasse; als gemeinsamer Erholungsort für die BewohnerInnen.

Diese Verlagerung ansonsten individueller Räume ins Kollektive, die dadurch entstehende gemeinsame Verantwortung und die Durchmischung verschiedenster NutzerInnengruppen bildet die Voraussetzung für eine dauerhaft gut funktionierende Nachbarschaft.

Ermöglicht wird dieser freie Umgang mit dem Raum vor allem durch den industriellen Ursprung des Bestandes und seiner Überdimensionierung. So ist es auch bei den zurückgewonnenen Bauteilen wie dem Erschließungsgang aus einer alten Kabeltrasse, welche breiter ist als ein notwendiger Erschließungsgang und es somit erlaubt auch mal ein paar Pflanzen oder ein Fahrrad abzustellen.

Eingeteilt haben wir diese zurückgewonnenen Materialien in drei Kategorien: Baustoffe (Trapezblech, Mauerwerk), Bauteile (Türen, Fenster, Treppen) und Unikate, Objekte die es nur einmal gibt und die meist auch einen hohen historischen Wert für das Areal haben. Wird mit diesem Bestand geplant, so richten sich Konstruktion und Gestaltung stets an Qualität und Quantität der zur Verfügung stehenden Bauteilen. Die industrielle Einfachverglasung des Zellstofflagers hat aufgrund ihrer mangelnden Dämmfähigkeit zunächst schlechte Vorraussetzungen für die Nutzung in einem Wohnbau. Durch den Einsatz als äußere Schicht der thermischen Pufferzone im Magazin findet sie jedoch eine geeignete Nachnutzung, in der diese Mängel egal sind.  Als Bauteil das in größerer Menge vorhanden ist bietet es sich auch für den Einsatz in größeren Bauvorhaben an und bestimmt somit auch die Gestaltung der Fassade. Re-Use bedeutet im Kontext dieses großen Areals daher nicht zwangsweise ein Flickenteppich unterschiedlichster Bauteile, sondern kann den Planenden ähnlich Freiheiten bieten wie bei einem Neubau. An den Fassaden der beiden Gebäude lässt sich somit auch der unterschiedliche Umgang mit dem Material durch verschiedene Akteure ablesen.
 
Die Freiheit der Aneignung ist jedoch nicht nur eine Frage der Kontrolle, sondern auch eine konstruktive Frage. Die Trennung der Schichten, wie auch Stewart Brand sie erklärt, bedeutet eine Trennung von Bauteilen mit langer und kurzer Lebensdauer, wie beispielsweise Tragwerk und Fassade. Somit muss auch die Aneignung des Gebäudes konstruktiv von dem Gebäude selbst und seiner räumlichen Erschließung getrennt sein, ganz nach Habrakens Prinzip von support und infill.



Gleichzeitig muss diese Konstruktion so leicht verständlich sein, dass motivierte NutzerInnen auch die Möglichkeit haben, sie zu modifizieren. Eine einfache Bauweise birgt über diesen Kontext hinaus jedoch noch weitere Vorteile. So bildet beispielsweise die vorgesetzte Trapezblechfassade des Magazins einen Hohlraum, der mit verschiedenen Dämmmaterial gefüllt werden kann, je nach dem was im Re Use ge rade Verfügbar wird. Auf der anderen Seite macht diese Konstruktion einen späteren Austausch des Dämmmaterials einfach, hier werden wieder die langlebigen Schichten von den kurzlebigen getrennt.



Die Schreinerei, die innerhalb unserer Case Study als Beispiel für den Rückbau dient, wird im Prozess der Transformation zu einem Fahrradparkhaus komplett entkernt. Die zurückgewonnenen Materialien, wie Mauerwerk, Fenster und Sanitäreinrichtungen, werden in den Materialpool zurückgeführt. Im Umschlagplatz werden alle zurückgewonnenen Materialien gescannt und in eine digitale Bauteilbibliothek eingespeist. Diese ist öffentlich, sowohl planende ArchitektInnen, als auch BewohnerInnen können hierauf zugreifen. Die digitale Dokumentation des Bestandes erleichtert die Planung mit zurückgewonnenen Bauteilen und ermöglicht neue Konstruktionsarten und spart dabei Material. Dieselbe Technik haben wir für möglichst geringen Verschnitt auch im Modellbau verwendet.




Das Ergebnis der Re Use Prinzipien auf Zanders ist nicht nur eine gute ökologische Bilanz durch Wiederverwendung und kurze Wege. Es ist ein Konzept zur Erschließung bestehender Räume, zur Beteiligung von ehemaligen und neuen NutzerInnen und zur Transformation des Areals zu einem lebenswerten Stadtviertel.
Vor allem ist es aber auch eine Möglichkeit die Identität des Areals und die historische Bedeutung jedes einzelnen Bauteils zu erhalten und zu etwas neuem und trotzdem nicht Fremden zusammenzufügen.